Islamwissenschaften

War Imam adh-Dhahabi ein Feminist – oder wie man ein Zitat erfindet

„Es gibt viele Männer, die Hadithe fabriziert haben, jedoch wurde keine Frau in der Geschichte des Islam der Fabrikation beschuldigt. Wenn daher die intellektuelle und religiöse Integrität von irgendjemandem in Frage gestellt werden sollte, dann die von Männern. Frauen haben religiöses Wissen immer wahrheitsgemäß übermittelt.“

Dieses Zitat wird in einem Artikel von Ruggero Vimercati Sanseverino (2024), Professor für Hadith-Studien und prophetische Tradition am Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) in Tübingen, angeführt und Imam adh-Dhahabi (1274-1348) zugeschrieben.[1] Bevor ich auf die Zuschreibung zu sprechen komme, möchte ich vergegenwärtigen, was dieses Zitat eigentlich aussagen will. Diese Aussage, die – unüberlegt gelesen – zeitgemäß und damit willkommen rüberkommt, ist eigentlich im Kern sehr problematisch. Denn hier wird explizit die Integrität eines ganzen Geschlechts, der Männer, pauschal in Frage gestellt. Präzisiert man nämlich das unbestimmte „irgendjemand“, dann müsste es heißen: „irgendein Geschlecht“. Aber warum soll die Integrität irgendeines Geschlechts in Frage gestellt werden?! Warum soll das überhaupt zur Debatte stehen? Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Auch historisch ist das sehr problematisch, denn sowohl Männer als auch Frauen sind unverzichtbare und unbestreitbare Träger der prophetischen Tradition. Irgendein Geschlecht als solches in seiner Integrität per se und pauschal in Frage zu stellen, ist sowohl rational, als auch historisch und religiös absurd und nicht vertretbar. Das Zitat klang für mich nach feministischer Ideologie und es war für mich historisch wenig plausibel, dass adh-Dhahabi exakt diese Aussage gemacht hat. Aus diesem Zweifel an der historischen Plausibilität heraus habe ich mich auf den Weg gemacht, dem vermeintlichen Zitat auf den Grund bzw. auf die Quelle zu gehen.

Sanseverino gab für das obige Zitat einen Artikel[2] von Dr. Yasmin Amin (2023) als Quelle an. Yasmin Amin beschäftigt sich in vielen Schriften mit dem Geschlechterverhältnis in der islamischen Tradition. Das Zitat findet sich in exakter Form in dem Artikel von Yasmin Amin, klar und deutlich mit Anführungszeichen adh-Dhahabi zugeschrieben. Als Quelle für das Zitat gibt sie „Al-Muhaddithat: The women scholars in Islam“[3] von Mohammad Akram Nadwi (2007), Seite XV, an. Auf der angegeben Seite fand ich jedoch weder das Zitat, noch wurde überhaupt adh-Dhahabi erwähnt. So fragte ich Yasmin Amin, ob sie mir weiterhelfen könne. Sie schrieb, dass ihr ein Fehler unterlaufen sei und das Zitat sich auf Seite 235 finden lasse. So schlug ich die entsprechende Seite auf. Da zitiert Nadwi den adh-Dhahabi wie folgt: „Al-Dhahabī says: ‚I did not know among the women anyone who has been accused [of lying] or whose ḥadīth has been left [for that]‘.“

Das obige Zitat, das bei Sanseverino und Amin angeführt wurde, findet sich so also bei Nadwi nicht. Die ursprüngliche Quelle, die Nadwi angibt und auch von Amin bestätigt wurde, enthält auch nur das, was Nadwi auf Englisch korrekt wiedergibt. In seinem Werk „Mizan al-Itidal“, das der Tradentenkritik gewidmet ist, schreibt adh-Dhahabi unter der Kapitelüberschrift über unbekannte weibliche Überlieferer lediglich: وما علمت في النساء من اتهمت، ولا من تركوها.[4] Also in etwa das, was Nadwi im Englischen wiedergab; auf Deutsch: „Ich kenne unter den Frauen keine, der Vorwürfe gemacht wurden oder über die hinweggegangen wurde.“ Ob diese Aussage absolut und allgemein gilt, oder spezifisch zu verstehen ist, ist eine Frage für sich, um die es mir hier nicht geht.

Es geht mir darum, dass einem Gelehrten aus der Vormoderne eine Aussage zugeschrieben wird, die er so nicht getätigt hat. Ich möchte Frau Amin keine absichtliche Falschzuschreibung unterstellen. Vielleicht war es ihr feministisches Paradigma, dass ihr das Zitat unbewusst ‚ausbauen‘ ließ… Ich weiß es nicht.

Wie dem auch sei, Fakt ist, dass das Zitat so zum ersten Mal bei Amin auftaucht und sich in den angegebenen Quellen nicht finden lässt. Vor der Veröffentlichung dieser Feststellung, habe ich nochmals Yasmin Amin geschrieben und ihr von der Deformierung des ursprünglichen Zitats berichtet. Dann habe ich sie gefragt: „Wo finde ich die genaue Aussage? Oder ist das auch ein Fehler?“ Darauf habe ich keine Antwort mehr bekommen. Auch den Herrn Sanseverino habe ich auf die falsche Zuschreibung aufmerksam gemacht und ihn um Klarstellung gebeten. Er bedankte sich für meine interessante Nachforschung, bestätigte, dass auch er auf der besagten Seite keine solche Aussage findet, aber sich auch nicht vorstellen kann, dass die Aussage gänzlich erfunden worden ist. Sobald er die richtige Referenz finde, würde er eine Korrektur veranlassen. Für mich unverständlich, wenn der Fehler bereits von mehreren Wissenschaftlern bestätigt wurde. Leider wurde der Fehler noch nicht korrigiert.

Wir Wissenschaftler tragen doch die Verantwortung, die Geschichte möglichst korrekt wiederzugeben. Dr. Amin selbst ging in einem Beitrag mit dem Titel „Historical Fiction, Fictionalized History or Historical Facts?“ der Frage nach „whether or not the details of the past were changed or manipulated during their recreation and recording in the name of preserving the past and setting examples and creating role-models or not“.

 

[1] https://www.islamiq.de/2024/05/25/frauen-und-maenner-im-hadith-zwischen-theologie-und-kulturkampf/

[2] Amin, Yasmin: Geschlechtergerechtigkeit im Ḥadīṯ – ein Oxymoron? In: Eine Frage des Geschlechts? Islamisch-theologische Perspektiven für eine gendergerechte Theologie der Gegenwart. Hg. Dina El Omari, Asmaa El Maaroufi, Katajun Amirpur. Baden-Baden: Ergon, 2023. S. 141-160. Das Zitat befindet sich auf Seite 154.

[3] Nadwi, Mohammad Akram: al-Muhaddithat: The women scholars in Islam. Oxford: Interface, 2007.

[4] Dhahabi: Mizan al-itidal fi naqd ar-rigal. 7. Beirut: Dar al-Kutub al-Ilmiyya, 1995. S. 465.

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Die Wurzeln des arabisch-israelischen Konflikts

Was wusste der durchschnittliche Europäer in jenen Tagen von den Arabern! So gut wie gar nichts. Voller romantischer und irriger Auffassungen kam er nach dem Nahen Osten; und wenn er geistig ehrlich und unvoreingenommen war, musste er sich bald gestehen, dass er in Wirklichkeit vom arabischen Leben keine Ahnung hatte. Mir war es ebenso ergangen. Bevor ich nach Palästina kam, hatte ich nicht einmal gewusst, dass es ein arabisches Land war. Es war mir natürlich bekannt gewesen, dass ‚auch‘ Araber dort lebten, aber ich hatte sie mir immer nur als Nomaden und idyllische Oasenbewohner vorgestellt. Da alles, was ich früher über Palästina gelesen hatte, von Zionisten geschrieben war - die ja natürlich nur ihre eigenen Interessen und Probleme vor Augen hatten -, war es mir nicht in den Sinn gekommen, dass auch die Städte voll von Arabern waren; dass tatsachlich im Jahre 1922 in Palästina fünf Araber auf einen Juden kamen und dass das Land somit weitaus mehr arabisch als jüdisch war.

Als ich dies einmal Herrn Ussyschkin gegenüber, dem damaligen Vorsitzenden des Zionistischen Aktionskomitees, zur Sprache brachte, gewann ich den Eindruck, dass die Zionisten die arabische Mehrheit der Bevölkerung keineswegs zu berücksichtigen geneigt waren, noch auch dem arabischen Widerstand gegen den Zionismus eine wesentliche Bedeutung beimaßen. Herrn Ussyschkins Antwort auf meine Frage zeigte mir seine Verachtung alles Arabischen:

»Es gibt hier keine wirkliche arabische Opposition gegen den Zionismus - das heißt, keine Bewegung, die im Volk ihre Wurzeln hatte. Was Sie als eine Opposition betrachten, ist in Wirklichkeit nichts als das Geschrei einiger missvergnügter Agitatoren. Und das wird in einigen Monaten, spätestens in ein paar Jahren, in sich zusammenbrechen.«

Dieses Argument gefiel mir gar nicht. Von allem Anfang an hatte ich die Empfindung, dass der Gedanke einer jüdischen Besiedlung Palästinas etwas Künstliches an sich hatte und den wahren Bedürfnissen des Judentums nicht entgegenkam; noch viel schlimmer jedoch war die Aussicht, dass das zionistische Unterfangen die ganze unlösbare Gesellschaftsproblematik Europas in ein Land verpflanzen würde, das ohne sie weitaus glücklicher wäre. Denn die Juden kamen ja nicht nach Palästina als ein Volk, das in sein Heimatland zurückkehrt: sie waren vielmehr entschlossen, es zu einem Heimatland zu machen - und zwar ein Heimatland nach europäischen Vorbildern und mit europäischen Zielen. Mit andern Worten, sie kamen als Fremde, als Eindringlinge her. Ich empfand es deshalb als selbstverständlich, dass die Araber den Gedanken einer jüdischen Heimstätte ihrer Mitte aufs bitterste bekämpften; sie waren ja in ihren wesentlichsten Belangen bedroht und mussten sich gegen eine solche Bedrohung zur Wehr setzen.

In der sogenannten Balfour-Deklaration von 1917, die den Juden eine nationale Heimstätte in Palästina versprach, sah ich ein grausames politisches Manöver nach dem alten Kolonialgrundsatz divide et impera. Im Falle Palästinas war dieser Grundsatz um so anstößiger, als die Engländer 1916 dem damaligen Herrscher Mekkas, Scharif Husayn, als Belohnung für seinen Aufstand gegen die Türken einen unabhängigen arabischen Staat versprochen hatten, der alle Länder zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf umschließen sollte. Sie brachen dieses Versprechen sofort: denn schon im nächsten Jahre trafen sie mit Frankreich das geheime Sykes-Picot-Abkommen, das den Franzosen die Herrschaft über Syrien und den Libanon einräumte, und verfügten durch die Balfour-Deklaration auch über Palästina, das sie den Arabern zugesagt hatten.

Wenngleich ich selber jüdischer Abstammung war, so erschien mir doch der Zionismus äußerst anstößig. Ich sah es als unmoralisch an, dass fremde Einwanderer, von einer fremden Großmacht unterstützt, mit der unverhohlenen Absicht ins Land kamen, allmählich zur Mehrheit zu gelangen und auf diese Weise ein Volk, das dieses Land seit undenklichen Zeiten besessen hatte, zu enterben. Und so geschah es auch, dass, sooft die jüdisch-arabische Frage zur Sprache kam - und das ereignete sich natürlich sehr häufig -, ich fast unwillkürlich für die Araber eintrat. Meinen jüdischen Freunden war eine solche Haltung geradezu unbegreiflich, um so mehr, als sie selber die Araber als rückständige Barbaren ansahen - ungefähr so, wie die europäischen Kolonisten in Zentralafrika die Buschneger ansehen. Sie schenkten der großen kulturellen Vergangenheit des arabischen Volkes nicht die geringste Beachtung. Es interessierte sie nicht im mindesten zu erfahren, was diese Menschen eigentlich dachten und was für Vorstellungen sie vom Leben hatten; kaum einer von ihnen gab sich die Mühe, Arabisch zu lernen; und jeder nahm ohne weiteres an, dass Palästina das rechtmäßige Erbe der Juden wäre.

Ich entsinne mich noch einer kurzen Unterhaltung, die ich über diese Frage mit Dr. Chaim Weizmann hatte, dem unbestrittenen Führer der zionistischen Bewegung. Er war gerade auf einem seiner häufigen zeitweiligen Besuche nach Palästina gekommen (sein ständiger Wohnsitz war damals, glaube ich, in London), und ich machte seine Bekanntschaft im Hause eines gemeinsamen jüdischen Freundes. Es war unmöglich, sich dem starken Eindruck zu entziehen, den die Energie dieses Mannes vermittelte – eine Energie, die sich sogar in seinen Körperbewegungen offenbarte, in dem langen, elastischen Schritt, mit welchem er rastlos im Zimmer auf und ab ging -, oder die bedeutende Geisteskraft zu verkennen, von welcher die breite Stirn und der durchdringende Blick Kunde gab.

Er sprach von den finanziellen Schwierigkeiten, die der schnellen Verwirklichung des Traums einer jüdischen Heimstatte im Wege standen, sowie auch von dem ungenügenden Widerhall, den dieser Traum im Auslande erweckte; und es befremdete mich, zu hören, dass auch er, wie die meisten anderen Zionisten, geneigt zu sein schien, die moralische Verantwortung für alles, was sich innerhalb Palästinas abspielte, der ‚Außenwelt‘ zuzuschieben. Diese Entdeckung ließ mich für den Augenblick meine Jugend vergessen (ich war kaum dreiundzwanzig Jahre alt), und mit lauter Stimme brach ich in Dr. Weizmanns Rede ein:

»Und wie steht‘s denn mit den Arabern?«

Es war kein Zweifel, ich hatte mit meiner dissonanten Frage einen faux pas begangen: allе Anwesenden hoben erstaunt und zum Teil auch missbilligend die Köpfe hoch, wahrend Dr. Weizmann sein Gesicht langsam mir zuwandte, die Tasse, die er in der Hand hielt, niedersetzte und meine Frage halb wiederholte:

»... wie es mit den Arabern steht?«

»Nun ja - was berechtigt Sie denn zu der Erwartung, dass es Ihnen gelingen wird, Palästina gegen alle arabische Opposition zu Ihrer Heimstätte zu gestalten? - denn die Araber sind ja hierzulande in der Mehrheit ...«

Der Zionistenführer zuckte mit den Achseln und antwortete trocken:

»Wahrscheinlich werden sie nicht mehr lange in der Mehrheit bleiben.«

»Kann sein. Sie haben sich mit diesem Problem seit Jahren befasst und kennen die Lage natürlich weit besser als ich. Aber ganz abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, die der arabische Widerstand Ihnen in den Weg legen oder nicht legen wird - beunruhigt Sie denn die moralische Seite dieser Frage gar nicht? Glauben Sie nicht, es sei bitteres Unrecht, politisch und kulturell ein Volk zu verdrängen, dem dieses Land seit jeher Heimat war?«

»Aber es ist doch unsere Heimat!« versetzte Dr. Weizmann, die Augenbrauen hochhebend. »Wir erstreben ja nichts als das zurückzugewinnen, dessen man uns ungerechterweise beraubt hat.«

»Aber die Juden haben doch nahezu zweitausend Jahre nicht mehr in Palästina gelebt! Und vorher, bevor sie vertrieben wurden, herrschten sie hier kaum fünfhundert Jahre lang, und sogar damals nur über einen Teil des Landes und niemals über das ganze. Glauben Sie nicht, die Araber konnten mit derselben oder sogar einer besseren Berechtigung Spanien für sich zurückverlangen - denn sie führten ja fast siebenhundert Jahre lang das Zepter in Spanien und verloren es gänzlich erst vor fünfhundert Jahren?«

Dr. Weizmann war ersichtlich ungeduldig geworden: »Unsinn. Die Araber hatten ja Spanien nur erobert; es war ja nicht ihr Heimatland: sie waren Eindringlinge - und so war es nur recht, dass sie am Ende von den Spaniern vertrieben wurden.«

»Aber verzeihen Sie doch«, beharrte ich, »es scheint mir, Sie übersehen hier eine historische Tatsache. Wenn man‘s genau nimmt, kamen ja auch die Hebräer als Eroberer nach Palästina. Lange vor ihrem Erscheinen lebten viele andere semitische und nicht-semitische Stamme hier - die Amoriter, die Edomiter, die Philister, die Moabiter, die Hittiter. Diese Völkerschaften lösten sich doch nach der Ankunft der Hebräer nicht einfach auf, sondern blieben hier und lebten neben den Hebräern weiter. Sie lebten hier in den Tagen der Königreiche Israel und Juda. Sie lebten hier, nachdem unsere - Ihre und meine - Vorfahren von den Römern vertrieben wurden. Sie leben hier noch heute: denn sind die gegenwärtigen palästinensischen Araber in Wirklichkeit etwas anderes als Nachkommen jener amoritischen und edomitischen und moabitischen Urstämme? Маn spricht sie heutzutage als ‚Araber‘ an und vergisst dabei, dass die echten Araber, die sich in Palästina und Syrien im Gefolge der islamischen Eroberungswelle ansiedelten, immer ja nur einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung ausmachten und dass die überwältigende Mehrzahl der sogenannten palästinensischen und syrischen ‚Araber‘ in Wirklichkeit ja nur die arabisierten Ureinwohner des Landes sind. Ein Teil von ihnen nahm im Verlaufe der Jahrhunderte den Islam an, der andere Teil blieb christlich; es war nur natürlich, dass die Muslims sich durch Heiraten weitgehend mit ihren Glaubensbrüdern aus Arabien vermischten: aber können Sie denn ernstlich in Abrede stellen, dass die Mehrheit der arabischsprechenden Palästinenser, ob Muslims oder Christen, in gerader Linie von den frühesten Bewohnern Palästinas abstammt: den frühesten, denn sie waren ja schon Jahrhunderte vor den Hebräern hier angesiedelt gewesen?«

Dr. Weizmann lächelte höflich und überlegen über meinen Ausbruch und nahm ein neues Gesprächsthema auf.

Das Ergebnis meiner Intervention verursachte mir keine Freude. Ich hatte selbstverständlich nicht erwartet, dass Dr. Weizmann oder irgendein anderer der Anwesenden mir zubilligen würde, der Zionismus sei sittlich gesehen ein fragwürdiges Unterfangen: aber ich hatte doch gehofft, dass mein Eintreten für die Araber wenigstens eine leise Beunruhigung in diese Gesellschaft hineintragen würde, die sich ja zum Teil aus den bedeutendsten Vertretern des Zionismus zusammensetzte, - eine Beunruhigung, die vielleicht zu größerer Selbstkritik und damit auch, möglicherweise, zu einer größeren Bereitwilligkeit führen konnte, dem arabischen Widerstand ein gewisses moralisches Recht zuzubilligen ... Aber nichts dergleichen hatte sich ereignet. Der erhoffte Widerhall blieb aus. Eine Mauer starrender Augen stand mir entgegen: eine scharfe Missbilligung der Impertinenz, mit der ich da gewagt hatte, das fraglose ‚Recht‘ der Juden in Frage zu stellen …

Wie war es nur möglich, wunderte ich mich, dass geistig so begabte Menschen wie die Juden den zionistisch-arabischen Widerstreit nur vom jüdischen Standpunkt aus betrachteten? Sahen sie denn gar nicht ein, dass das Problem der Juden in Palästina letzten Endes nur durch friedliche Zusammenarbeit mit den Arabern zu lösen war? Waren sie denn so hoffnungslos verblendet, nicht zu erkennen, welch eine schmerzliche Zukunft sich in ihren Plänen barg? - wieviel Kämpfe, wieviel Bitternis und Hass dem jüdischen Volke bevorstanden, wenn es solcherart ein Inselleben - und sei es zeitweilig auch noch so erfolgreich - inmitten eines Meeres feindlicher Araber führen würde?

Und wie seltsam, dachte ich mir, dass ein Volk, welches im Verlaufe seiner langen, tragischen Diaspora so viel Unrecht erlitten hatte, nunmehr bereit war, einem andern Volke elendes Unrecht anzutun - und noch dazu einem Volke, das gar keine Schuld an vergangenen jüdischen Leiden trug. Solch ein Phänomen, das wüsste ich, war der Geschichte keineswegs unbekannt; aber es machte mich dennoch über alle Maßen traurig, es mit eigenen Augen mitansehen zu müssen.

Zu jener Zeit war meine Vertiefung in die politischen Probleme Palästinas nicht mehr nur durch meine Sympathie für die Araber und meine gefühlsmäßige Ablehnung des zionistischen Experiments bedingt, sondern auch durch das Wiederaufleben meiner journalistischen Interessen: denn inzwischen war ich Sonderkorrespondent der Frankfurter Zeitung geworden. (…)

In der Zwischenzeit hatte ich mir sowohl unter den Juden als auch unter den Arabern recht viele Freunde erworben. Die Juden - das konnte natürlich nicht ausbleiben - betrachteten mich im allgemeinen mit einer Art verdutztem Misstrauen, denn meine Vorliebe für die Araber kam ja nunmehr nicht nur in gelegentlichen Gesprächen, sondern auch in meinen Beiträgen für die Frankfurter Zeitung deutlich zum Ausdruck. Offenbar konnten sie sich nicht ganz darüber klarwerden, ob ich von den Arabern ‚gekauft‘ wäre (denn im zionistischen Palästina war man seit jeher gewohnt, alles Geschehen vom geldlichen Standpunkt aus zu beurteilen) oder ob ich einfach ein wunderlicher Kauz von einem Intellektuellen wäre, der sich ins Exotische verliebt hatte. Aber nicht alle Juden, die damals in Palästina lebten, waren eben Zionisten; recht viele waren unterm Antrieb einer religiösen Sehnsucht nach dem Heiligen Lande und seinen biblischen Erinnerungen dorthin gekommen, und nicht etwa aus politisch-nationalen Gründen.

Zu dieser Gruppe gehörte mein holländischer Freund Jakob de Haan, ein kleiner, rundlicher, blondbärtiger Mann im Anfang der Vierzig, vormals Rechtsdozent an der Leydener Universität und nunmehr Sonderkorrespondent des Amsterdamer Handelsblad und des Londoner Daily Express. Ein Mann von tiefer religiöser Überzeugung - nicht weniger ‚orthodox‘ als irgendein osteuropäischer Jude -, missbilligte er den politischen Zionismus als solchen: denn er hielt daran fest, dass die Wiedererrichtung einer echten jüdischen Heimstätte im Gelobten Lande erst nach dem Kommen des Messias erfolgen könne.

»Wir Juden«, sagte er öfter, »wurden vom Heiligen Land vertrieben und über alle Welt verstreut, weil wir die Erfüllung der Aufgabe versäumten, die Gott uns aufgetragen hatte. Wir waren von Ihm auserwählt worden, Sein Wort zu predigen - aber in unserem hartnackigen Hochmut verfielen wir in den Glauben, dass Er uns nur um unseretwillen zum ‚auserwählten Volk‘ gemacht hatte: und solcherart verrieten wir Ihn. Jetzt bleibt uns nichts übrig, als Buße zu tun und unsere Herzen zu reinigen; und wenn wir eines Tages wieder würdig sind, Träger Seiner Botschaft zu sein, wird Er den Messias senden, und dieser wird die Knechte Gottes ins Gelobte Land zurückführen ...«

»Aber glauben Sie denn nicht«, fragte ich, »dass dieser messianische Gedanke auch dem Zionismus zugrunde liegt? Ich selber stimme ja diesem Gedanken nicht bei, das wissen Sie ja: aber ist es nicht jedem Volk ein natürliches Verlangen, eine eigene Heimstätte zu haben?«

Dr. de Haan sah mich mit schräggeneigtem Kopfe an: »Glauben Sie etwa, die menschliche Geschichte setzt sich nur aus einer Reihe von Zufällen zusammen! Ich glaub‘s nicht. Es war nicht ohne Sinn, dass Gott uns unser Land verlieren ließ und uns in die Welt verstreute; die Zionisten jedoch wollen dies nicht zugeben. Sie leiden eben immer noch an derselben geistigen Blindheit, die uns einst zum Sturze brachte. Aus den zweitausend Jahren der jüdischen Verbannung und des jüdischen Unglücks haben sie nichts gelernt. Anstatt den Versuch zu machen, die innersten Gründe unseres Unglücks zu begreifen, versuchen sie es jetzt, dieses Unglück gleichsam zu umgehen: sie wollen eine ‚nationale Heimstatte‘ bauen und bedienen sich hierbei abendländischer machtpolitischer Bestrebungen: und damit berauben sie ein anderes Volk seiner Heimstätte.«

Jakob de Haans Ansichten machten ihn, begreiflicherweise, höchst unbeliebt bei den Zionisten (in der Tat, kurz nachdem ich Palästina verlassen hatte, erfuhr ich zu meinem Entsetzen, dass  er in einer dunklen Nacht von Terroristen ermordet wurde). Zu der Zeit, von der ich spreche, beschränkte sich sein gesellschaftlicher Verkehr auf einige Juden seiner eigenen Gesinnung, vereinzelte Europäer und viele Araber. Den Arabern, insbesondere, neigte er sich stark zu, und diese schätzten ihn sehr hoch und luden ihn oft in ihre Häuser ein. Das war übrigens kennzeichnend für die arabische Stimmung in jenen Tagen. Jahrhunderte hindurch hatten sie die Juden mit einigem Wohlwollen als Nachbarn und Rassenverwandte betrachtet, und erst nach der Balfour-Deklaration trat ein Umschwung des Gefühls und politische Feindschaft ein. Aber noch zu Beginn der zwanziger Jahre fiel es den Arabern nicht schwer, zwischen ihren Feinden und Freunden unter den Juden zu unterscheiden.

Asad, Muhammad: Der Weg nach Mekka. Düsseldorf: Patmos, 2009. S. 120-128.

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Martin Klamroth (1873-1918) (Bibliography)

1. Ostafrikanischer Islam. In: AMZ 37 (1909), 477-493, 536-546, 569-570.

2. Beiträge zum Verständnis der religiösen Vorstellungen der Sarano im Bezirk Daressalam (Deutsch-Ostafrika). In: ZfKS 1 (1910), 37-70, 118-153, 189-223.

3. Islam. In: Korrespondenzblatt für die evangelischen Missionen Deutsch-Ostafrikas 3 (1912), ?

4. Der Islam in Deutschostafrika. Berlin: Buchhandlung der Berliner evangelischen Missionsgesellschaft, 1912.

5. Der literarische Charakter des ostafrikanischen Islams. In: WI 1 (1913), 21-31.

6. Religionsgespräch mit einem Führer der Daressalamer Mohammedaner. In: AMZ 40 Beiblatt (1913), 65-80.

Bär, Erika: Bibliographie zur deutschsprachigen Islamwissenschaft und Semitistik vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute. Bd. 3. Wiesbaden: Reichert, 1994. S. 83.

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Theodor Friedrich Grigull (1850-1915) (Bibliography)

Grigull, Theodor Friedrich: Der Koran. Aus dem Arabischen. Mit Vorbemerkungen und Index nebst Facsimile einer Koran-Handschrift. Halle: Hendel, 1901; 1924; Önsöz. Terc. Hüseyin Yaşar. In: Alman Oryantalizminde Kur’an’a Bakış. (Metin Analizi ve Tenkidi.) İstanbul: İz, 2010. S. 125-130. Rez.: F. Schwally: ThLZ 27 (1902), 228.

Bobzin, Hartmut: Theodor Friedrich Grigull. In: Glaubensbuch und Weltliteratur. Koranübersetzungen in Deutschland von der Reformationszeit bis heute. Katalog zur Ausstellung: Koranübersetzungen - Brücke zwischen Kulturen. Gedruckte Werke aus dem Zentralinstitut Islam-Archiv Deutschland Amina-Abdullah-Stiftung. Hg. Hartmut Bobzin, Peter Kleine. Arnsberg: Stadtarchiv, 2007. S. 40.

Yaşar, Hüseyin: Avrupa gözüyle Kur’ân. Avrupa’da Kur’ân Araştırmaları Çevirileri Üzerine Bir İnceleme. Izmir: Işık Akademi, 2008. S. 172-174.

Enay, Marc-Edouard: Mohammed und der Heilige Koran. Hamburg: Orient-Antiquariat, 1995. S. 90.

Fisch, Michael: Umm-al-kitâb. Ein kommentiertes Verzeichnis deutschsprachiger Koran-Ausgaben von 1543 bis 2013. 470 Jahre europäisch-abendländische Koran-Rezeption. Berlin: Schiler, 2013. S. 84-85.

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